Im Gespräch mit: Dirk Songür, Neue Digitale / Razorfish - Teil 2

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Teil 2 des Interviews mit Dirk Songür von Neue Digitale / Razorfish. Teil 1 gibt es hier.

Matthias Bastian: Dirk, wb! ;)
Wie differenzierst du den Social Media- und den Community-Manager?

Dirk Songür: Ich denke, der Unterschied ist „Kontrolle“. Die Kontrolle über die Community-Plattform. Wenn das Unternehmen eigene Kommunikationsregeln durchsetzen oder User maßregeln kann, dann ist es Community-Management. Social Media-Manager dagegen sind eher auf Plattformen unterwegs, auf denen sie keine administrative Kontrolle ausüben können, beispielsweise Twitter. Beim Social Media-Management geht es mehr um die Beeinflussung von Meinungen, man kann den Usern ja nicht „administrativ diktieren“.

Matthias: Beeinflussung - das versucht der Community-Manager aber doch auch?

Dirk: Dabei hat er aber wesentlich mehr Kontrolle über Kultur und Tonalität des Dialogs. Ich habe stärkeren, direkten Einfluss auf die Community. Social Media-Manager sind beispielsweise Troll-Angriffen relativ hilflos ausgeliefert. Sie können nur versuchen über die Kommunikation eine Lösung zu finden. Das bedeutet aber nicht, dass der Community-Manager dauernd administrative Kontrolle ausüben sollte. Er muss der Community auch Freiheiten geben, damit diese sich entfalten kann.

Matthias: Und was ist mit selbstverwalteten Bereichen in dezentralen Communitys, wie beispielsweise eine Facebook-Fanpage? Da hat man zumindest zum Teil eine Kontrolle - ist das Community- oder Social Media- Management?

Dirk: Es kommt darauf an, wie viel Kontrolle tatsächlich vorhanden ist. Beispielsweise Facebook: Mein Bereich ist sehr klein. Die User haben sehr leicht die Möglichkeit den Bereich zu verlassen und noch auf der gleichen Plattform über mich zu reden. Nur ein Klick  - und der User kann über das Unternehmen reden, ohne einer Kontrolle zu unterliegen.

Matthias: Glaubst du, dass man das Community-Management eher der PR zuordnen kann, also dialogisch orientiert, während das Social Media-Management stärker in Richtung Marketing tendiert - mit Fokus auf die Verbreitung von Push-Nachrichten?

Dirk: Ich würde nicht soweit gehen und dem Social Media-Manager den Dialog absprechen. Es geht auf jeden Fall mehr um Buzz, ja. Aber langfristig ist ja Buzz nur erfolgreich, wenn die User dann auch abgeholt werden. Es geht also nicht ohne Betreuung. Und diese Aufgabe liegt wiederum beim Community-Manager. Social Media-Management und Community-Management sind verheiratet. Sie arbeiten Hand in Hand. Ein Social Media-Manager ist ein halber Community-Manager und ein Community-Manager ein halber Social Media-Manager. Aber es könnte nicht einer den Job vom anderen machen.

Matthias: Wieso?

Dirk: Der Social Media-Manager ist schon eher Richtung Marketing orientiert. Es geht darum, Leute zu beeinflussen, zu lenken, klassische Marketing-Psychologie eben. Beim Community-Management geht es um Bindung, Dialog, langfristige Beziehungen.

Matthias: Dann funktioniert die Analogie zu PR und Marketing ja relativ gut.

Dirk: Ja. Das trifft es erstaunlich gut. Allerdings müssen beide im Social Web dazu lernen - PR hat sich vielleicht zu sehr auf die Pressearbeit verlassen und Marketing auf Kommunikation ohne Rückkanal.

Matthias: Denkst du, dass es notwendig oder möglich ist innerhalb einer Community verschiedene User-Typen zu differenzieren?

Dirk: Notwendig, auf jeden Fall. Es gibt Gruppen und Sub-Gruppen, also Typen von Menschen. Und wie diese miteinander agieren ist eine entscheidende Frage. Möglicherweise ist eine Gruppierung schlecht für eine andere. Oder es ist eventuell möglich einen positiven Effekt zu erzielen, wenn man einen bestimmten Menschentyp auf die Community-Plattform lockt.

Matthias: Inwiefern kann man diese User-Typen differenzieren, mal abseits vom Troll?

Dirk: Das ist grundsätzlich schwierig, es gibt verschiedene Modelle. Es geht um Psychologie, Gruppendynamik und viele andere Dinge. Ich bevorzuge die Typologie von Bartle aus dem Gaming-Bereich. Aus einer empirischen Befragung heraus hat er vier Arten von Usern ausgemacht. Killer, also Leute die andere nerven wollen. Achiever, die daran interessiert sind einen gewissen Status zu erlangen. Dann die Explorer, das sind diejenigen, die weniger am Spiel selbst interessiert sind sondern mehr am kompletten System. Und dann gibt es noch Socializer - denen ist alles egal, die kommen nur um miteinander zu reden. Und diese Typologie lässt sich auf andere Community-Plattformen übertragen. Trolle sind beispielsweise die Killer.

Matthias: Kann man diese Typen denn immer so deutlich voneinander abgrenzen?

Dirk: Nein, das sind selten Extreme und meistens Mischformen. Außerdem besteht ja auch die Möglichkeit, dass ein User innerhalb einer Community eine Entwicklung durchläuft. Er fängt als Killer an und hört als Socializer auf, beispielsweise.

Matthias: Und wie beeinflussen sich diese User-Typen gegenseitig?

Dirk: Zum Beispiel: Hat eine Community viele Killer, gibt es weniger Socializer. Das kann man gut an bestehenden Communitys demonstrieren - in der 4chan Community (be aware: explicit content!) habe ich beispielsweise weniger Leute, die sich einfach nur nett unterhalten wollen. Wenn ich viele Leute habe, die sich nur nett unterhalten wollen, ist es wiederum ziemlich attraktiv für Killer, die gerade diese Leute gerne stören wollen. Da gibt es gewisse Dynamiken. Deswegen ist das Bartle-System so gut – es lässt auf einer Grundebene viel Spielraum für Interpretation.

Matthias: Und wo siehst du den Opinion-Leader in dieser Typologie?

Dirk: Das ist der Achiever. Jemand, der viel erreicht hat, ist immer der Glaubwürdigere. Und Glaubwürdigkeit zeichnet den Opinion-Leader aus.

Matthias: Wie kann man als Unternehmen Einfluss auf diese User-Zusammensetzung in der Community nehmen? Klar, Trolle kann man sperren.

Dirk: Wenn man sperren muss, hat man vielleicht schon was falsch gemacht – es geht eher darum eine Plattform so zu bauen, dass sie gar nicht attraktiv ist für die User, die man nicht in der Community haben möchte. Ein Beispiel: In SchülerVZ kommt man nur gegen Einladung rein. Das macht es Killern sehr schwer Mitglied zu werden, denn wer für einen nervigen Typ gehalten wird, der wird erst gar nicht eingeladen. So findet eine gewisse soziale Kontrolle statt.

Matthias: Und darüber hinaus?

Dirk: Es gibt auch Gestaltungsregeln. Ich kann über Farbgestaltung beziehungsweise allgemein über die äußere Gestaltung einer Community sehr viel Einfluss nehmen. Mit einer "beruhigenden Plattform", was Gestaltung und Design betrifft, könnte man beispielsweise eher Socializer anlocken.

Matthias: Also sollte man sich schon im Vorfeld überlegen, welche User-Typen man für den Erfolg der eigenen Plattform braucht?

Dirk: Und die Plattform dann dementsprechend konzipieren, genau.

Matthias: Aber als Unternehmen möchte ich ja beispielsweise die Plattform für jeden zugänglich machen, was ist dann?

Dirk: Es gibt auch Communitys die leicht zugänglich sind, aber dann nach dem Eintritt in die Community die Kommunikation einschränken. Bei XING kann man leicht rein, aber man kann dort nicht jeden anschreiben und zuspammen. Es gibt eine gewisse Hürde - das sind Mechaniken die erlauben, dass der User sich bis zu einem gewissen Grad entfalten kann, aber dabei niemand anderen stört. Auch die Privacy-Regeln auf Facebook sind solche Mechanismen.

Matthias: Aber wenn ich das System einfach halten will, wie beispielsweise in einem Internetforum, wo die User von Anfang an eng beieinander sind – dann wird es schwieriger, oder nicht?

Dirk: Auch hier gibt es Mechaniken. Beispielsweise ein Punktezähler für die Anzahl der Postings; das begünstigt Meinungsmacher oder Achiever. Oder eine Prozentanzeige bei XING, wie ausführlich das Profil ausgefüllt wurde - das ist auch ein toller Indikator dafür, wie ernst die User eine Plattform nehmen.

Matthias: Aber ein Troll kann auch mit seinem allersten Posting in einem Internetforum schon die Leute nerven. Wie kann man das verhindern?

Dirk: Naja, wenn ihm das schon reicht, schön. Es geht mehr darum, dauerhaft störende Elemente fernzuhalten. Umgekehrt: Wenn ich Socializer begünstigen will, also Leute, die nur auf Kommunikation aus sind, dann muss die Community auch dementsprechend designt werden. Vielleicht geht es auch gar nicht darum, dass man die Masse bevorzugen will, sondern man möchte eine gewisse Qualität hochhalten - da muss man dann definieren, was Qualität für die Plattform bedeutet. Beispielsweise könnten die User ja bewerten, wie nett sie andere Nutzer finden. Da freuen sich dann die Socializer. 

Matthias: Das geht stark in Richtung Selbststeuerung durch die Community.

Dirk: Das sind alles Mechaniken einer Community, die bestimmte Typen und damit bestimmtes Verhalten fördern. Ich kann beispielsweise, gerade wenn es um Killer oder Trolle geht, auf eine gewisse Sprache achten und über technische Konzepte die Wortwahl überwachen. In einer Community für Jugendliche hat man beispielsweise im Normalfall einen anderen Wortschatz, so dass man vielleicht den 40jährigen, der sich dort nicht rumtreiben sollte, über bestimmte Signalwörter ausfiltern kann. Es gibt eine ganze Bandbreite von Tools, die man so einsetzen kann, dass sie bestimmte Verhaltensweisen fördern oder die Plattform für ungewünschte Gruppen weniger attraktiv macht. Man wird es nie komplett kontrollieren können, aber es geht darum, ein bisschen anzuleiten.

Matthias: Thema Verhaltenssteuerung: was hältst du denn von Reputationssystemen? Beispielsweise wenn Moderatoren an verdiente User höhere Ränge verleihen, wie in einem Internetforum.

Dirk: Grundsätzlich ist es wichtig, dass derjenige die Reputation verleiht, der eine gewisse Glaubhaftigkeit hat. Wenn ich Ränge verschenke oder verkaufe, dann haben sie keinen Wert. Wenn man  als Betreiber einer Plattform Moderatoren aus der Community rekrutiert, dann muss man darauf achten, dass auch die glaubwürdig bleiben.

Matthias: Und wenn sich die User die Reputation gegenseitig „verleihen“?

Dirk: Dann muss man dafür sorgen, dass mit diesem System kein Schindluder getrieben wird, beispielsweise über Bots. Das System muss glaubhaft bleiben und so seinen tatsächlichen Wert behalten.

Matthias: Was zeichnet für dich ein Social Network aus?

Dirk: Es ist eine Art Meta-Community-Plattform, auf der sich spontan oder gezielt Communitys gründen können. Man kann dort eine Community gründen, der Leute beitreten können, die die gleiche emotionale Bindung an das Thema haben.

Matthias: Und was ist für dich eine Community-Plattform, die nicht zu einem Social Network gehört?

Dirk: Eine reine Community-Plattform ist immer an ein Thema gebunden. Aber auch das ist eingeschränkt, in einem Forum kann man ja beispielsweise mehrere thematische Bereiche haben. Dann wird es mit der Definition auch wieder schwierig.

Matthias: Wo auch immer die Community-Plattform jetzt sein mag - beobachten sollte man sie in jedem Fall. Das ist keine einfache Aufgabe, weil durch die große Menge an User generierten Inhalten Unternehmen mit Information quasi überflutet werden.

Dirk: Ja, es ist eine schwierige Aufgabe. Seine eigene Community-Plattform zu überwachen ist schon nicht ganz einfach, aber wenn man versucht alle mit einzubeziehen, ist es noch deutlich komplexer. Ich glaube, dass viele Firmen nicht in der Lage sind das selbst zu leisten und auf externe Anbieter zurückgreifen müssen. Oder zumindest wäre es nicht wirtschaftlich, da sie zu viel investieren müssten um dorthin zu kommen, wo die Dienstleister schon sind. Es reicht nicht, einfach nur einen Praktikanten hinzusetzen, der Google durchsucht und sich durch Feeds und Blogs arbeitet.

Matthias: Sondern, was muss gemacht werden?

Dirk: Man muss ein gewisses breites und ein strategisches Spektrum abdecken. Man muss sich überlegen, wo schaut man nach. Und auf was schaut man da genau - und wie beweist man, dass das, was man dort sieht, auch tatsächlich relevant ist. Es gibt auch noch andere Faktoren, wie beispielsweise die kulturelle Prägung der Kommunikation in einer Community. "Das Produkt saugt" ist beispielsweise nicht unbedingt negativ behaftet - wenn es um Staubsauger geht. Man muss die gefundenen Inhalte also in einen Kontext setzen, um eine aussagekräftige Bewertung zu kriegen. Aber genau das ist wichtig, da erst so nachgewiesen werden kann, dass Communitys tatsächlich relevant sind für Unternehmen.

Matthias: Wie kann man eine gute qualitative Analyse von User generiertem Inhalt auf die Beine stellen? Geht das alles per Software?

Dirk: Qualitative Auswertung heißt immer bis zu einem gewissen Grad auch menschliche Kontrolle. Die automatisierte Bewertung ist inzwischen nicht schlecht – sie kann sogar Kontext erkennen. Beispielsweise Ironie. Eine gewisse Fähigkeit zu abstrahieren ist vorhanden. Allerdings ist die Fehlerrate noch etwas zu hoch, deswegen wird für eine komplette qualitative Analyse immer noch Manpower benötigt.

Matthias: Also macht es Sinn, Software einzusetzen, um eine Analyse zu erstellen, die in die Breite geht - um Wege vom Kommunikationsverläufen und Zielgruppen zu erkennen.

Dirk: Und diese Ergebnisse lassen sich dann qualitativ interpretieren, ja. Bei Social Media-Monitoring muss man einfach in die Analyse noch wesentlich mehr händische Arbeit stecken. Diese Analyse kann man nicht automatisiert machen.

 Matthias: Du kennst ja sicherlich das Konzept von "Idea-Communitys" (bspw. Ideastorm von Dell) - ist das ein Konzept, dass das Monitoring bis zu einem gewissen Grad erleichtern kann, weil man die Kunden in eine Community „lockt“ die so strukturiert ist, dass sie die Inhalte, die man ansonsten mühsam in anderen Communitys raussuchen müsste, direkt beim Unternehmen abliefert?

Dirk: Klar, da hat man nicht mehr den riesigen Aufwand manueller Analyse. Aber diese Communitys beschränken sich natürlich auf das Produkt- und Innovationsmanagement. Wie die Leute ansonsten über das Unternehmen reden, das kriegt man dort nicht mit.

Matthias: OpenID und ähnliche Technologien - ist das ein wichtiges Thema in der Zukunft des Community-Managements?

Dirk: Ja. Über diese Technologien hat man direkt einen potentiellen Userstamm. Wenn man beispielsweise „Facebook Connect“ einsetzt, können sich Facebook Nutzer auf einer anderen Community-Plattform mit ihren Facebook-Nutzerdaten anmelden. Außerdem erspart es dem Betreiber gewisse rechtliche Verantwortlichkeiten.

Matthias: Und was ist mit den Nutzerdaten? Die ausgefüllten Profile? Die haben doch einen Wert für Unternehmen.

Dirk: Das glaube ich nicht. Woran die Unternehmen tatsächlich interessiert sind, sind nicht die E-Mail Adressen für ein bisschen Werbung, sondern die relevanten „Special interest“ Informationen.

Matthias: Aber wie kriegt man die, wenn die Leute nicht das Profil ausfüllen, dass das Unternehmen ihnen vorgibt, sondern lieber das von Facebook mitbringen?

Dirk: Das Unternehmen kann ja immer noch zusätzliche Profilinformationen abfragen.

Matthias: Aber wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein User diese ausfüllt, wenn er nicht bei der Anmeldung dazu "gezwungen" wird?

Dirk: Das müsste man testen, eine interessante Frage. Abgesehen davon kann man aber auch beispielsweise über „Facebook Connect“ immer noch eine Freigabe bekommen, um auf die User-Daten zuzugreifen.

Matthias: Super Dirk, danke für das ausführliche Interview! Jetzt sind wir durch.

Dirk: Das hast du schon mal gesagt.

Matthias: Diesmal meine ich es aber so. :)

Unknown

Dipl. Online-Journalist, Online-Marketing-Nerd, VR-Evangelist

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